Wie uns unsere Segeleskapaden durch jeden Lockdown helfen

The Seasick Sailoress
8 min readNov 3, 2020

Vier Learnings.

Wer hätte das gedacht. Nämlich, dass uns unsere gesammelten Erfahrungen von zwei Atlantiküberquerungen und drei Jahren auf dem Segelboot schon so bald einholen und uns sogar an Land helfen würden?

Während im Umfeld die Hamsterkäufe bizarre Ausmaße annehmen, plötzlich die Kinder schulbefreit zu Hause sitzen, und jeder sich soweit wie möglich isolieren soll, kommt uns die Situation doch seltsam vertraut vor.

Ich sage nur: Atlantiküberquerung — drei Wochen auf dem Ozean, die Kinder werden an Bord beschult bzw. beschulen sich mehr oder weniger selber, das Boot sollte man besser nicht verlassen, und alles Essen, Trinken und Sonstiges müssen vorher besorgt werden.

Hier also meine zusammengetragenen Learnings und Erfahrungen, unsere Atlantikeinkaufsliste und ein paar Lieblingsrezepte, um die pandemiebedingte Ausnahmesituation so gut es geht zu überstehen.

Learning #1

The kids are alright. Wir hatten uns gesorgt, dass das total schwierig wird mit Bespaßung und Unterricht. Tatsächlich war es dann so, dass die beiden sich durchaus öfter mal gelangweilt haben, und aus purer Verzweiflung anfingen miteinander Siedler von Catan zu spielen. Und Master Mind. Und Karten. Kuchen zu backen. Essen zu kochen. Fisch zu fangen. Hörbuch zu hören oder sogar Bücher zu lesen.

Kein Internet = Brettspiele

Natürlich gab es Netflix, aber weil auf dem Atlantik nix mit WiFi ist, gab es freilich nur die runtergeladenen Sachen, und die waren nach einer Woche durchgeglotzt.

Filme auf Festplatte haben wir uns für die ruhigen Abende aufgehoben um sie gemeinsam zu gucken, aber da alle vier Schichten schieben mussten und vor allem abends selten alle gleichzeitig wach waren, ist das nicht zu oft passiert. Klar, unsere Kinder waren nun schon im Alter, in dem sie sich gut selbst beschäftigen können (wobei.). Aber von anderen Kinderbooten mit kleineren und viel kleineren Kindern wissen wir, dass es allen ähnlich ging: Die Kids haben ausnahmslos erstaunlich schnell und kreativ das Beste aus der Situation gemacht.

Learning #2

Der innere Rückzugsraum ist viel größer, als man ihm oft zugesteht. So ein Boot ist nicht besonders groß, Wohnfläche von unserem waren vielleicht gerade mal 25 Quadratmeter und von anderen segelnden Familien wissen wir: es geht noch viel kleiner. Klar, Konflikte müssen anders geklärt werden, die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit den anderen ist intensiv und oft nicht unanstrengend. Gleichzeitig zwingt sie zu Klarheit und Ehrlichkeit, zu Rücksicht und Verständnis. Zum Sich-Hinterfragen und Sich-Nicht-Alles-Glauben.

Alle vier haben wir unsere Rückzugsstrategien entwickelt. Für mich war das im Cockpit oder bei ruhiger See vorne an Deck zu sitzen und stundenlang aufs Wasser zu schauen. Zu lesen. In der Koje zu liegen und zu dösen. Was Leckeres zu essen zu machen. Für Ric war das am Boot rumzuwerkeln — irgendwas gab es immer. Für die Jungs war das neben Schule Schlafen und Hören/Lesen/Gucken. Auch Pläne zeichnen der Traumwohnung war irgendwann hoch im Kurs. Einmal saß Yannick eine ganze Weile verträumt im Decksalon. Später erklärte er mir dann: „Ich habe visualisiert.“ Wo er das wohl her hat.

Learning #3

Schulausfall ist halb so wild. Was haben wir uns für Gedanken gemacht, ob die Kinder auch genug lernen während der Reise. Ob sie mit dem Stoff mitkommen. Ob sie nachher einen Abschluss machen können. Was sie sonst auf der Reise lernen.

Ich will nicht behaupten, dass es immer leicht gewesen ist. Oder witzig. Es gab Streit, es gab Tränen, die eigenen Kinder zu unterrichten ist schwieriger, als wir uns das vorgestellt hatten, und wir hatten nicht gedacht, dass das leicht wird. Als Deutsche hat man ein bisschen die Arschkarte gezogen, wenn es um Materialien geht, aber es wird langsam besser. Es gibt immer mehr On- und Offline-Angebote, die das Fernlernen erleichtern. The Simple Club. Anton. Babbel. Khan Academy (leider noch recht wenig übersetzt). Sofa Tutor.

Bordschule.

Im Vergleich zu segelnden Familien aus anderen Ländern, in denen für Fernschule eine viel größere Akzeptanz herrscht, hatten wir als Deutsche aber nicht nur mit spärlichen Materialien zu kämpfen, sondern auch mit dem System und der Haltung zu Schule in der Heimat. Wir mussten uns aus Deutschland abmelden, um der Schulpflicht zu entgehen und wurden von der ehemaligen Schule der Jungs regelrecht angefeindet. Und nicht nur von der Schule.

Was an uns natürlich nicht spurlos vorbeigegangen ist, auch wir hatten zwischendurch Tiefs, Zweifel und Ängste.

Der Captain erklärt Sargassum Seegras.

Wir hatten immer wieder Zweifel

Die wurden aber mit der Zeit und proportional zum Wachsen des Vertrauens in die Kinder immer weniger. Im Nachhinein können wir sogar sagen, dass die beiden sicher nicht weniger, sondern sogar viel mehr gelernt haben, als sie das in einem Klassenzimmer je hätten tun können. Über die Welt um uns herum. Ungerechtigkeiten. Schönheit. Zusammenhänge. Ökologie. Energieerzeugung. Politik, Geografie. Sprachen und Kulturen. Am wichtigsten aber — sie haben Demut, Verantwortung und Vertrauen gelernt.

Auch die Kinder wachsen an der Krise

Wenn nun die Kinder die nächsten Wochen nicht in die Schule gehen können, das ganze System noch nicht auf Fernunterricht ausgerichtet ist, und vieles nicht so klappt, wie es könnte, macht mir das keine Sorgen. Ich finde das für die Kids vielmehr spannend und lehrreich, diese Erfahrung von Solidarität und Egoismus, Haltung und Verunsicherung, Krisenmanagement und Überforderung! Da kann man auch mal ein paar Wochen den Schulstoff Schulstoff sein lassen. Ich bin mir sicher, dass niemand seinen oder ihren Abschluss der Pandemie wegen nicht schaffen wird, sondern ganz im Gegenteil — an dieser Zeit wachsen wird.

Learning #4

Wir sind so daran gewöhnt immer alles zu jeder Zeit zu bekommen, dass es natürlich verunsichert, wenn plötzlich nur eins in den Supermarktregalen mehr wird — die gähnend leeren Fächer. In den drei Jahren und vor allem im letzten Jahr der Reise waren wir immer wieder an Orten und auf Inseln, an denen man nur eingeschränkt Dinge bekommen konnte, spätestens da mussten wir lernen zu improvisieren und mit dem zu leben, was da war. Lieblingsgerichte fielen weg, weil schlicht die Zutaten nicht zu kriegen waren, dafür gab es neue Lieblingsgerichte.

Und bei den langen Überfahrten war dann ohnehin und selbsterklärend ganz Schluss mit Besorgungen. Was nicht auf dem Boot war, war nicht da. Punkt. Mit Klopapier und Nudeln wären wir wohl weder satt noch glücklich geworden, weshalb ich gerne unsere Einkaufsliste und ein paar Rezepte teile. Sonst ist am Schluss nicht der Virus unser Problem, sondern Skorbut.

Tom Kha Mahi Mahi mit Instant Thai Tom Kha Paste, Dosenchampignons, Süßkartoffeln und restlichem Grünzeug.

Verproviantierung

Also wenn schon hamstern und bunkern, dann richtig. Auf dem Boot nennen wir das Verproviantieren und für 3 Wochen auf dem Atlantik ohne Gefrierschrank haben wir letztes Jahr für 2 Erwachsene und 2 Teenie-Jungs (also insgesamt 6) folgendes eingekauft:

3 Paletten Tomatendosen
Andere Gemüsedosen nach Geschmack
Kokosmilch
1 Palette Kichererbsen
Linsen trocken (alle Farben)
Bohnen in Dosen (auch alle Farben. Und Töne.)
Fischdosen (falls mal nix anbeißt)
Zwieback und Knäckebrot
Indische und thailändische Pasten
Fertignudelsuppen
10 kg Mehl (Weiß, Vollkorn, Dinkel, Roggen)
Trockenhefe in rauen Mengen
Salz
Zucker
12l H-Milch
Unmengen Hummus
2l Joghurt
Käse (z.B. Feta)
10 kg Reis
Couscous
Quinoa
Bulgur
Haufen Gewürze und Brühpulver
80 Eier (ungekühlt lagern)
Tahine
Erdnussbutter
5l Olivenöl und andere Öle
Sojasoße
Essig
3 Flaschen Mayo (I know, right?! Was man nicht alles tut für Teenie-Glück)
Und ja, auch ein paar Nudeln.

Verproviantierung im Senegal. Dosenhülsenfrüchte, Erdnüsse und Mayo.

Frisch, weil ewig haltbar:
Karotten, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Kohl, Orangen, Äpfel, Lauch, Wurzelgemüse

Mittellang haltbar: Zitronen, Auberginen, Zucchini, Gurken, Blumenkohl, Bananen
Ganzes Gemüse gehört übrigens nicht in den Kühlschrank, hält dann viel länger.

Rezepte

Unsere fünf Lieblingsrezepte, die immer gehen (also abgesehen von Pizza und Nudeln mit Tomatensoße, Nudeln Carbonara, Nudeln mit Ei, Nudeln mit Nudeln). Wobei sich unser Nudelkonsum signifikant verringert hatte, nachdem die Rüsselkäfer auf dem Boot eingezogen waren und fast den gesamten italienischen Pastabestand vernichtet hatten. Großes Drama übrigens. Bei Entdeckung wollte ich mich kurzzeitig von Bord stürzen.

Unsere wacklige Küche auf der PONYO

Für meinen Lieblingsnotsalat waren die Jungs zwar nicht zu begeistern, aber der darf hier nicht fehlen: Orangen, Zwiebeln, ein bisschen Knoblauch, eine Dose roter oder weißer Bohnen oder Kichererbsen und altes Brot oder Zwieback. Senf-Honig-Balsamico-Olivenöl-Dressing. Sensationell, vor allem wenn alles andere Frische weg ist. Jetzt aber die familienfreundlichen Rezepte.

  1. Japanischer Nudelsalat. Eins der absoluten Lieblingsessen der Jungs, die beiden sind halt echte Kulinarier. Möglichst dünne Spagetti kochen, abseihen. Thunfisch (wir hatten meistens frischen eingekocht, aber der aus Langleinenfang von Follow Fish im eigenen Saft aus dem Supermarkt geht auch) abgießen und zerkleinern. Gurken in Scheiben, Zwiebeln in Ringe schneiden. Fürs Dressing Mayo mit Sojasoße und Pfeffer mischen. Nudeln, Gurken, Thunfisch, Zwiebeln und Dressing in einer Schüssel zusammenmischen. Ergibt sehr satte, glückliche Kinder.
  2. Pfannenbrot mit Curry — sehr super, um Vitamine und was Gemüsiges in die Kinder reinzukriegen. Die stehen nämlich voll auf frisches Pfannenbrot und finden einfach toll, wenn es irgendwas gibt, wo man es reintunken kann. Fürs Pfannenbrot 3 Tassen/Teile Mehl (weiß oder Dinkel oder gemischt) mit einem Esslöffel Salz, einem Packerl Trockenhefe und einer Tasse/einem Teil Wasser mischen und gut und lange verkneten. Halbe Stunde gehen lassen. Währenddessen das Curry machen: Zwiebeln und vorhandenes Gemüse andünsten, mit Kreuzkümmel und Curry würzen. Mit Dosentomaten und Kokosmilch (ich nehme zwei Tomatendosen auf eine Dose Kokosmilch) aufgießen und so lange köcheln, bis das Gemüse weich ist. Nach Bedarf mit Stärke/Kartoffelbreipulver/übrigen Kartoffelbrei andicken. Aufgegangenen Teig noch mal kneten, in Kugeln zerteilen und daraus pfannengroße Fladen formen. In Olivenöl knusprig braten. Noch warm essen, wenn die Fladen nämlich kalt werden, schmecken sie nur noch viertel so gut.
  3. Chili con alles, was die Dosen hergeben. Lecker, wenn man Weizentortillas und Sourcream hat, dann kann man tolle Wraps bauen, die eine Riesensauerei machen.
  4. Pie/Quiche mit allem Gemüse, was dringend gegessen werden muss. Quicheteig (bzw. Pie-Teig, aber Pie ist ja nur Quiche mit Deckel) vorbereiten, kalt stellen. Füllung schnibbeln und evtl. blanchieren oder andünsten. Je nach Ernährungsform Speck anbraten. Eier mit Sahne, Salz und Pfeffer anrühren. Teig ausrollen, in die Form drücken, Füllung und Eier-Sahne-Mischung drüber und in den Ofen.
  5. Reis mit Scheiß. Much leckerer than it sounds. Reis vom Vortag (oder frisch), Spiegeleier, Sojasoße und frittierte Algen (falls vorhanden, gibt’s sonst im Asialaden). Zusammenmischen, fertig. Besonders lecker mit Kimchi (koreanisches Sauerkraut).

Unser einer Sohn hatte übrigens Spaß am Backen, der hat alle paar Tage mal einen Kuchen oder Unmengen an Pfannkuchen produziert (die Bananen wurden natürlich alle gleichzeitig reif und mussten weg). Der andere hat sich lieber an Kochrezepten versucht. Schon deshalb, weil: wer kocht/backt, muss nicht abspülen. Der Anreiz war also riesengroß.

Isolation, Fernunterricht und die Tatsache, nicht alles zu jeder Zeit bekommen zu können, sind nicht das Ende der Welt und total machbar.

Ungewohnt vielleicht, aber halb so wild.

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Leonard Cohen.

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The Seasick Sailoress

Uncertainty Expert | Future Thinker | Blue Water Sailoress Hallo I’m Rike. When I’m not thinking about uncertainty and randomness, I sail the oceans.